Weingarten – Die Warnung des Künstlers ist deutlich und sie verspricht zugleich viel: „Der Besuch der Ausstellung erfolgt auf eigene Verantwortung, da Ihr Kunstverständnis gestört werden kann“, sagt Professor Dr. Johannes Kirschenmann. Noch bis 23. Mai sind Werke des erfolgreichen Kunstpädagogen in der Ausstellung „Das Wahre und das Schöne“ im Schlossbau der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH) zu sehen. Rund 20 installative, skulpturale und malerische Arbeiten sowie Fotocollagen auf Leinwand, die sich mit dem Wesen und den Funktionen der Kunst auseinandersetzen, werden in den Räumen vor dem Audienzsaal gezeigt. Die Werke entführen den Betrachter auf einen intensiven Kunstlehrpfad.
Kirschenmann habe sich ein Leben lang mit Kunst beschäftigt und viel über die Kunst geschrieben, sagte Kunst-Professor Dr. Martin Oswald in seiner Einführung bei der Ausstellungseröffnung. „Es gibt kaum einen, dessen Kunstvermittlung man besser versteht.“ 20 Jahre lang lehrte Kirschenmann als Professor an der Akademie der Bildenden Künste in München und war einige Jahre deren Vizepräsident. Er engagierte sich viele Jahre als Mitherausgeber der Fachzeitschrift KUNST + UNTERRICHT und ist als Kuratoriumsmitglied für verschiedene Stiftungen tätig. Seit seiner Pensionierung ist Kirschenmann weiter als Hochschullehrer an der Westböhmischen Universität in Pilsen tätig. Im Rahmen seiner PH-Ausstellung fand auch ein Workshop mit ihm statt.
Die Pädagogische Hochschule sei als Ort der Bildung für eine nachdenkliche Auseinandersetzung mit Bildern bestens geeignet, sagte Johannes Kirschenmann und dankte den Organisatoren und Unterstützern seiner Ausstellung. Er appellierte an die Besucher, provokante Impulse seiner Werke im Dialog aufzunehmen und sich damit zu beschäftigen. Sein Kunstkonzept lebe durch die aktive Teilnahme der Rezipienten.
Einige von Kirschenmanns Arbeiten seien auf die Mitwirkung der Besucher angelegt, sagte Oswald. Er führte zu dem Werk „Wenn die Raben fliegen lernen“ – einem Regal, bestückt mit einem Schwarm schwarzer Plastik-Rabenvögel, Gegenständen und mechanischen Aktionen, die zu kreativen Gedankenausflügen anstiften. Die Raben stünden für Weisheit. Es seien aber noch weitere Botschaften in dem Werk versteckt, so Oswald. Nicht zuletzt die als Countdown rückwärts laufende Uhr oder die neben dem Regal platzierte digitale Fotocollage mit historischen Elementen und dem dadaistischen Verweis: „Der Surrealismus war nur eine Aufbauanleitung.“ Zur aktiven Teilnahme lädt auch die installative Arbeit mit Büchern von und über Faust ein: Durch das Bedienen eines Fuß-Pedals erklingt Fausts Monolog aus dem Lautsprecher. Gleich daneben wird das Werk „Grundlehre I“ präsentiert, mit bearbeiteten Detailrepros zu Hugo van der Goes‘ „Der Sündenfall“ sowie zehn Reisigbesen zur Klärung und Farbpigmenten als Teil der Installation.
Immer wieder offenbart die Ausstellung neue Überraschungen, die den Betrachter zur Auseinandersetzung mit Kirschenmanns Werken motivieren: QR-Codes entführen in andere Welten, Reprodrucke mit beweglichen Elementen lösen Aktionen der Betrachter aus, Weinflaschen in einem Ständer werden mit neuen Etiketten zu künstlerischen In-vino-Veritas-Botschaftern. „Eine Tischplatte ist mystischer als alle Bilder von Kandinsky“, wird beispielsweise August Macke zitiert. Auch Marcel Duchamps Aussage: „Chagall würde seine Großmutter mit himmelblauer Farbe übergießen, wenn er sie für Dollars verkaufen könnte“, ziert ein Etikett.
Mit der Definition von Kunst, den Mechanismen des Kunstmarkts und der dortigen Werteermittlung setzt sich Kirschenmann kritisch auseinander: Der in einen Rahmen gestellte Feuilleton-Text „Total Banane“ der FAZ sowie eine auf dem Boden platzierte Box mit Chiquita-Bananen verweisen auf die 2024 für einen horrenden Preis verkaufte „Comedian“-Skulptur von Maurizio Cattelan – eine mit Panzerband an einer Wand befestigte Banane – und die damit verbundenen Kunstdebatten.
Kirschenmanns Ausstellung erfordere ausreichend Zeit und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung, sind sich viele Besucherinnen und Besucher einig. „Dann kann man ihre volle Wirkung erfahren und die wertvollen Botschaften erkennen.“
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Text und Fotos: Barbara Müller


